Piraterie: Mehr Entführungen vor Westafrika
Die Zahlen des Internationalen Schifffahrtsbüros (IMB), einer Organisationseinheit der Internationalen Handelskammer (ICC), belegen einen Anstieg von Piraterie und bewaffneten Raubüberfällen in den ersten neun Monaten des Jahres 2020. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg der Entführungen um 40 Prozent vor der westafrikanischen Küste im Golf von Guinea im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Der jüngste globale Pirateriebericht des IMB registrierte in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 insgesamt 132 Angriffe, gegenüber 119 Vorfällen im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Weltweit wurden 112 Schiffen geentert, sechs beschossen, während 12 Angriffe erfolgreich abgewehrt werden konnten. 85 Seeleute wurden entführt, um Lösegeld zu erpressen, davon 80 Besatzungsmitglieder bei insgesamt 14 Überfällen im Golf von Guinea vor den Küsten der Länder Nigeria, Benin, Gabun, Äquatorialguinea und Ghana.
“Die Besatzungen sehen sich aufgrund von Covid-19 außergewöhnlichem Druck ausgesetzt. Die Gefahr gewaltsamer Piraterie oder bewaffneter Raubüberfalle ist ein zusätzlicher Stress”, sagte Michael Howlett, Direktor des IMB, dessen Piraterie-Meldestelle (IMB PRC) seit 1991 alle Angriffe verzeichnet und Seeleute weltweit unterstützt. “Während das IMB im Falle eines Piratenangriffes schnell mit den Behörden in Verbindung tritt, ermutigen wir alle Küstenstaaten und regionalen Kooperationen, Verantwortung zu übernehmen für die Gewährleistung der maritimen Sicherheit innerhalb ihrer Außenwirtschaftszone, um sicherere Meere und einen sicheren Handel zu gewährleisten.”
Der Golf von Guinea – der weltweite Hotspot der Piraterie
Etwa 95 Prozent der weltweiten Entführungen wurden aus den Gewässern des Golfs von Guinea gemeldet. Das IMB warnt, dass die Piratenbanden in der Region “gut organisiert und in der Lage sind, Schiffe der unterschiedlichsten Art anzugreifen”.
Am 17. Juli 2020 enterten acht mit Maschinengewehren bewaffnete Piraten einen Produktentanker rund 196 Seemeilen südwestlich von Bayelsa, Nigeria. Die Piraten nahmen alle 19 Besatzungsmitglieder als Geiseln, stahlen Schiffsdokumente und Wertgegenstände und entführten 13 Seeleute vom Schiff. Der Tanker wurde mit eingeschränkter und unqualifizierter Navigations- und Maschinenbesatzung an Bord zurückgelassen. Ein in der Nähe befindliches Handelsschiff half dem Tanker, einen sicheren Hafen anzulaufen. Die regionalen Behörden wurden benachrichtigt und die 13 entführten Besatzungsmitglieder sicher befreit.
Am 8. September 2020 überfielen bewaffnete Piraten ein Kühlfrachtschiff, südsüdwestlich von Lagos, Nigeria. Zwei Besatzungsmitglieder wurden entführt, aber dem Rest der Besatzung gelang es, sich in die Zitadelle zurückzuziehen, gemäß den von der Schifffahrtsindustrie empfohlenen und von dem IMB gebilligten Best Practices. Ein nigerianisches Marine-Team wurde entsandt, das an Bord ging, das Schiff durchsuchte und dann sicher in den Hafen für weitere Untersuchungen geleitete. Der IMB-Pirateriebericht enthält einen besonderen Dank an die nigerianischen Behörden, insbesondere an die nigerianische Marine und die nigerianische Behörde für Seeverkehrsverwaltung und -sicherheit NIMASA, die “weiterhin rechtzeitig Informationen, Aktionen und wertvolle Zusammenarbeit zwischen Agenturen austauscht”.
Messerangriffe in der Meerenge von Singapur
Das Piratenzentrum verzeichnete 15 Angriffe auf Schiffe, die in der Straße von Singapur unterwegs waren. Während die meisten als Verbrechen auf niedriger Ebene bewertet werden, wurden zwei Besatzungsmitglieder bedroht, ein Mann verletzt und ein weiterer Seemann entführt, was auf ein anhaltendes Risiko für die Besatzungen hindeutet. Messer wurden in mindestens zehn der Zwischenfälle zum Einsatz gebracht.
Rückgang in Indonesien
Die Zahl der Vorfälle innerhalb des indonesischen Hoheitsgebietes ist mit vier Angriffen im dritten Quartal zurückgegangen, gegenüber 14 im zweiten Quartal. Dabei handelte es sich um weniger gefährliche Diebstähle, meist auf vor Anker liegende Schiffe.
Forderung nach mehr Berichterstattung
In der Karibik, Mittel- und Südamerika – einschließlich Brasilien und Kolumbien, Ecuador, Haiti, Mexiko und Peru – sind verschiedenste Schiffstypen angegriffen worden, sowohl vor Anker liegend als auch unterwegs. Da jedoch viele Piratenangriffe gar nicht gemeldet werden, fordert das IMB alle Schiffskapitäne und Betreiber dringend auf, die 24-Stunden-Meldezentrale für Piraterie (IMB) zeitnah über alle Angriffe auf ihre Schiffe oder Besatzung zu informieren.
Somalische Piraterie bleibt unter Kontrolle
Seit 2018 wurden in Somalia keine Vorfälle von Piraterie gemeldet. Im August 2020 haben die Piraten die letzten drei Geiseln, die in der Region gefangen gehalten wurden, freigelassen. Da somalische Piraten trotzdem noch in der Lage sind, weitere Angriffe durchzuführen, drängt das IMB Schiffeigner und Kapitäne, die Anwendung der besten Managementpraktiken der Branche (BMP5) fortzusetzen, und begrüßt die stabilisierende Präsenz von Marineschiffe in der Region.
Zum IMB
Die 1991 gegründete IMB-Meldestelle für Piraterie des Internationalen Schifffahrtsbüros (IMB) ist 24 Stunden am Tag erreichbar. Sie stellt der Schifffahrtsindustrie, den Regierungen und Behörden zeitnahe und transparente Daten über bewaffnete Raubüberfälle zur Verfügung, die ihr von Kapitäne und Reeder direkt gemeldet werden.
Alle Angriffe sind auch auf der IMB Piracy Live Map vermerkt:
https://www.icc-ccs.org/piracy-reporting-centre/live-piracy-map
ICC Germany / PRMV / 06.11.2020