Fluch und Segen der neuen Seidenstraße
Die neue Seidenstraße ist das größte Infrastrukturprojekt auf der Erde. Für China ist sie wichtiger Baustein des Zieles, um über kurz oder lang zur führenden Wirtschaftsnation auf der Welt zu werden. Die „Belt & Road Initiative“ (BRI) verbindet Asien auf vielfältige Weise mit Europa und Afrika. Wie weit diese Straße bereits um sich gegriffen hat, zeigt eine aktuelle Meldung auf der offiziellen chinesischen Webseite. Demnach gibt es hierzu schon 139 Memorandums of Understanding (MoU). Neben 138 Ländern unterzeichnete auch ein Länderbündnis, die Afrikanische Union, ein solches Abkommen mit China. Das Reich der Mitte hatte sich bei der 2013 präsentierten Initiative zunächst auf den asiatischen und europäischen Raum konzentriert. Doch längst sind auch Afrika und die pazifischen Staaten in den Fokus rückten.
Immerhin 18 der 27 EU-Mitgliedsstaaten haben bereits ein BRI-Abkommen mit China getroffen. Der Vorreiter war dabei Rumänien im Jahr 2015. Die acht EU-Staaten, die kein MoU abgeschlossen haben, darunter Deutschland, liegen allesamt in Westeuropa. Die mittel- und osteuropäischen Länder konnten den Verlockungen dagegen zunächst kaum widerstehen. Beim diesjährigen sogenannten 17+1-Gipfel zeichnete sich jedoch ab, dass einige EU-Staaten die Zusammenarbeit mit der Volksrepublik zunehmend kritischer sehen. Auf dem afrikanischen Kontinent haben sogar 81% der Länder ein Abkommen mit China abgeschlossen. Auch die Mehrheit der asiatischen Nationen konnte die Volksrepublik bereits auf ihre Seite ziehen, darunter sämtliche ASEAN-Mitgliedsländer.
Im Nahen Osten und in Südasien haben sich, das geht ebenfalls aus der Auswertung auf der chinesischen BRI-Webseite hervor, bislang 18 Staaten der Seidenstraße angeschlossen. Indien stand der Initiative dagegen von Beginn an skeptisch gegenüber. Gleiches gilt für Japan, das sich allerdings für ein von der BRI unabhängiges bilaterales Abkommen mit dem Reich der Mitte zur Zusammenarbeit auf Drittmärkten entschied. Auch Frankreich schloss 2015 ein solches Abkommen mit China ab. Sieben der acht postsowjetischen Staaten in Zentralasien und im Kaukasus (außer Turkmenistan) traten ebenfalls der neuen Seidenstraße bei. Immerhin verläuft der Landweg der BRI quer durch diese Region. Im pazifischen Raum wurden bisher aber auch elf Abkommen im Rahmen der Seidenstraße unterzeichnet.
Neue Straßen, Zugtrassen, Flughäfen und vergrößerte Seehäfen für die BRI entstehen aktuell in rund 80 asiatischen, afrikanischen und europäischen Ländern. Die Volksrepublik gibt sich dabei gerne als Partner, der anderen Ländern hilft, sich zu entwickeln. Dem Infrastrukturausbau in wirtschaftlich schwachen Ländern soll ein Aufschwung ihrer Märkte folgen. Allerdings wird das Gebaren der Volksrepublik gerade im Westen immer kritischer gesehen. Gebrandmarkt wird vor allem die außenpolitische Einflussnahme Chinas, die durch die finanzielle Abhängigkeit beigetretener Seidenstraßenländer entsteht.
Erst kürzlich hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) eine Studie präsentiert, wonach Chinas Kreditverträge „ungewöhnlich weitreichende Vertraulichkeitsklauseln“ beinhalten, „die Kreditnehmer daran hindern, die Bedingungen oder manchmal sogar die Existenz der Kredite offenzulegen“. Seit 2014 enthalte jeder untersuchte Vertrag eine Vertraulichkeitsklausel und auch Bestimmungen, die chinesischen Staatsbanken Vorrang vor anderen Gläubigern geben. Informelle Sicherheitsvereinbarungen setzten die chinesischen Kreditgeber an die Spitze der Rückzahlungslinie, da die Banken auf die Konten ihrer Kreditnehmer zugreifen könnten, um unbezahlte Schulden einzutreiben. Die Verträge gäben China auch einen großen Spielraum, Kredite zu kündigen oder die Rückzahlung zu beschleunigen, wenn es mit der Politik eines Kreditnehmers nicht einverstanden ist. So behandele die China Development Bank den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu China als ein „Ausfallereignis“, so das IfW.
Allen voran afrikanische Länder wie Kenia, Nigeria oder Angola haben sich in China massiv verschuldet. Korruption, schwache Wirtschaftsstrukturen und wenig kompetente Regierungen vereiteln dort jedoch eine positive Entwicklung. Können diese Staaten dann ihre Schulden nicht zurückzahlen, droht die Übernahme der Sicherheiten für die Kredite durch die Volksrepublik. Meist handelt es sich dabei um nationale Vermögenswerte wie Elektrizitätswerke oder Häfen. Weiter wird China vorgeworfen, territoriale Ansprüche sowie eigene Standards und Regeln weltweit durchsetzen zu wollen.
Direkte Beteiligungsmöglichkeiten in Infrastrukturprojekten haben allenfalls große, multinationale Konzerne, die schon lange in China sind und dort erheblich investiert haben. Chancen bestehen hierzulande für hochspezialisierte mittelständische Unternehmen, die Technik bereitstellen oder Schlüsselkomponenten liefern können. Auch im Dienstleistungssektor bieten sich Optionen für deutsche und europäische Anbieter, beispielsweise für die Finanz- und Versicherungsbranche, wenn sie deutsche Unternehmen begleiten. Serviceleistungen spezialisierter Unternehmen, beispielsweise für umfassende, komplexe Bauprojekte wie Planungs- oder Projektmanagementleistungen, werden ebenfalls Chancen eingeräumt. Deutsche oder europäische Unternehmen haben dann die Gelegenheit zu einer Teilnahme an den Projekten, wenn sie zum einen über einen Kompetenzvorsprung, insbesondere gegenüber den chinesischen Wettbewerbern verfügen. Zum anderen müssen sie den chinesischen Akteuren bekannt sein, also etwa in China Präsenz zeigen, Kontakte und Vertrauen aufgebaut haben und anpassungsfähig an chinesische Denk- und Arbeitsweisen sein.
Mit einer „EU-Asien-Konnektivitätsstrategie“ versucht inzwischen die Europäische Union, mit asiatischen Staaten ein Pendant zur BRI ins Leben zu rufen. Bei einem europäisch dominierten Vorhaben sind die Chancen für westliche Unternehmen höher, einbezogen zu werden. Neben der EU und China entwickeln auch andere asiatische und ozeanische Länder wie Japan, Australien oder Südkorea ähnliche Strategien. Ein weltweit steigendes Investitionsvolumen solcher Internationalisierungsvorhaben und der Infrastrukturaufbau durch solche Programme können letztlich Unternehmen aus aller Welt neue Möglichkeiten eröffnen.
NfA/AB/jr/promv